Musikhaus Süd – eine Spurensuche


Stadtplan der Kölner Südstadt 1898

Kaum jemand weiß heute noch, was es mit dem Gebäude des Musikhaus Süd auf sich hat. 
Der freistehende Altbau liegt auf dem Spielplatz zwischen An der Eiche und Annostraße im Kölner Severinsviertel. Erbaut 1909, war er Teil des ehemaligen Oppenheimschen Kinderhospitals und diente als Isolierstation bei der Versorgung von Kindern mit ansteckenden Erkrankungen. Freifrau Charlotte von Oppenheim hatte die seinerzeit bedeutende Einrichtung an die Stadt Köln gestiftet.

Das Oppenheim’sche Kinderhospital
Elende Lebensbedingungen der Arbeiter*innen
Die Stiftung der Freifrau von Oppenheim
Das modernste Krankenhaus der Stadt
1909 erhält das Kinderhospital eine Isolierstation – unser heutiges Musikhaus

Ein „grober Verstoß gegen das nationalsozialistische Volksempfinden“
Zerstörung und letzte Spuren


Das Oppenheim’sche Kinderhospital

Colourierte Skizze des Oppenheim’schen Kinderhospitals
von 1883
Bauzeichnung mit Grundriss in der Deutschen Bauzeitung, 1884

Freiherr Abraham von Oppenheim war der Sohn des Bankgründers Salomon Oppenheim und einer der reichsten Kölner in der Zeit der Industrialisierung.  Er hatte u.a. Anteil am Aufbau des deutschen Eisenbahnwesens, der Versicherungswirtschaft sowie der rheinischen Maschinenbauindustrie. 1866 wurde er als erster ungetaufter Jude in Preußen in den Freiherrnstand erhoben. 

Als wichtigster Mäzen der Zeit finanzierte er den Bau der Synagoge in der Glockengasse, den Kölner Zoo und die Flora und die Fertigstellung des Kölner Doms. Freiherr Abraham von Oppenheim starb 1878. Nach dem Tod ihres Mannes stiftetete Freifrau Charlotte von Oppenheim der Stadt Köln 300.000 Reichsmark zur Errichtung eines hochmodernen Kinderhospitals.


Elende Lebensbedingungen der Arbeiter*innen

Im 19. Jahrhundert siedelten sich die Schokoladenfabrik Stollwerck in der Annostraße an und die Drahtseilfabrik Felten & Guilleaume am Karthäuserwall. Viele Tausend Arbeiter*innen und Tagelöhner*innen lebten in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten. Die Wohnverhältnisse waren prekär und die hygienischen Verhältnisse katastrophal. Meist waren die Fabrikbesitzer auch die Bauherren dieser Unterkünfte.

Ansicht der Stollwerck-Fabrik, 1898
Beengte Wohnverhältnisse der Arbeiterinnen,
Ende des 19. Jhd.

Die sogenannten „Stollwerckmädchen“ arbeiteten 84 Wochenstunden, die medizinische Versorgung ihrer Kinder konnten sie sich nicht leisten. Krankenkassen begannen sich erst langsam zu etablieren, kurzfristig Beschäftigte, d.h. Tagelöhner, waren ausgeschlossen. 

Ein Krankenhaus zur Behandlung von Kindern existierte zu der Zeit nicht. Fast die Hälfte der Kinder starb vor dem fünften Lebensjahr. 


Die Stiftung der Freifrau Charlotte von Oppenheim

Aus der Stiftungsurkunde:

„… Zum Wohle kranker oder einer besonderen Pflege bedürftiger Kinder und zum Andenken an meinen teuren Gatten, den verstorbenen Geheimen Commerzienrat, Freiherr Abraham von Oppenheim, will ich eine Heil- und Pflege-Anstalt stiften… Diese Anstalt soll Kindern ohne Unterschied des Glaubens-Bekenntnisses der Eltern zum Zwecke der Heilung und Pflege Aufnahme gewähren. Das Hospital soll Vorzugsweise vermögenslosen Hülfsbedürftigen zu statten kommen…

Der Oberbürgermeister der Stadt Köln dankt der Stifterin:

„… Zur großen Genugtuung gereicht es mir den Dank, mit welchem die Stadtverordneten-Versammlung in ihrer gestrigen Sitzung Ihre Schenkung und die in dem verehrlichen Schreiben vom 21. Juli d.J. ausgedrückten Bedingungen derselben anzunehmen beschlossen hat, Ihnen hiermit aussprechen zu dürfen.

Möge der gerechte Gott Ihnen die den armen Kindern erwiesene Wohltat in Zeit und Ewigkeit danken…

Dritter Historischer Fries, mit Charlotte von Oppenheim in der Mitte, Köln im 19. Jahrhundert 1889/1890

Das modernste Krankenhaus der Stadt

Die Stadt Köln kaufte 1881 das Areal An der Eiche, Buschgasse bis zur Annostraße für 150.000 Reichsmark von einer Erbengemeinschaft. Wie nicht unüblich in Köln wurde das Bauvorhaben wesentlich teurer als geplant. Charlotte von Oppenheim legte mehrmals große Summen nach. Nach nur zwei Jahren Bauzeit wurde das „Freiherr Abraham von Oppenheimsche Kinderhospital“ 1883 mit ca. 80 Krankenbetten eröffnet.

Es war das erste Kölner Kinderkrankenhaus, verfügte über Zentralheizung und fließend warmes und kaltes Wasser – die modernste Krankeneinrichtung der Stadt. Die Stiftung für das Kinderhospital betrug insgesamt über 1.000.000.Reichsmark und war die bedeutendste ihrer Zeit.

Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln
Straßenseite Buschstraße, 1910
Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln
Rückseite, 1883 (Blick vom Musikhaus)

1909 erhält das Kinderhospital eine Isolierstation –
unser heutiges Musikhaus

Charlotte Freifrau von Oppenheim starb 1887.

In den ersten zwei Jahrzehnten des Betriebs konnten Kinder mit Infektionskrankheiten nicht aufgenommen werden. Der Schwerpunkt lag in der Chirurgie. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte der Ausbau der „Inneren Abteilung“. 

Großneffen und -nichten von Charlotte von Oppenheim stifteten 1908 den Betrag von 25 000 RM zur Errichtung eines zusätzlichen Gebäudes:

„…Mit dieser Summe soll auf dem Gelände des Kinderhospitals ein im Sommer und Winter bewohnbares Isolier- bzw. Quarantänehaus errichtet werden, das bisher dem Kinderhospital gefehlt hat, wodurch leider kleine Hausepidemien des oefteren nicht zu verhindern waren…“

Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln, um 1920
Frühgeborenenversorgung
Inventar Kinderbetten, 1910
Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln, um 1920
Krankenhausversorgung

Von Beginn an versorgten die Cellitinnen der Ordensgemeinschaft zur hl. Maria vom Severinsklösterchen die kranken Kinder. 

Um 1909 bauten sie eine Säuglingsstation auf. Mehrere Ammen wurden eingestellt. Künstliche Säuglingsnahrung gab es bis zu dem Zeitpunkt nicht. 

Im Oppenheimschen Kinderhospital wurde die erste Milchküche eingerichtet, in der Säuglingsnahrung hergestellt werden konnte. Das war überlebenswichtig. Denn schwerkranke Säuglinge wurden noch im 19.Jahrhundert zum Sterben in Waisenhäuser gebracht.

Es konnte zusätzlich eine städtische Säuglingsfürsorgestelle angegliedert werden. Diese gab Säuglingsmilch an Bedürftige aus und führte Vorsorgeuntersuchungen durch. 

In den 1920er-Jahren wurden eine Untersuchungsstelle für Kleinkinder eingerichtet und Reihenuntersuchungen für Schulkinder.

Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln, um 1920
Mütter bringen ihre Kinder zur Untersuchungsstelle für Klein- und Schulkinder

Ein „grober Verstoß gegen das nationalsozialistische Volksempfinden“

Mit dem Siegeszug der Nationalsozialisten nahmen die städtischen Behörden das Kinderhospital in den Blick. 

Der bestehende Stiftungsausschuss, dem auch ein Mitglied der Familie von Oppenheim angehörte und der über die Belange des Kinderhospitals entschied, wurde 1935 aufgelöst. 

Die städtischen Behörden rissen die Zuständigkeit an sich. 1937 tilgten die neuen Entscheidungsträger den Namen „Freiherr von Oppemheimsches Kinderhospital“. 

Der Name wurde mit Genehmigung des linientreuen Regierungspräsidenten Eggert Reeder in „Städtisches Kinderhospital“ geändert. Die Begründung lautete, die Stifterin sei „nicht arisch“ gewesen. Nichts sollte an die jüdische Wohltäterin erinnern.

Ab 1940 wandten sich die Behörden erneut dem Hospital zu. Der Gesundheitsdezernent Carl Coerper schlug vor sich auf einen Beschluss zu berufen, der die Aufnahme von „Nichtariern“ in städtischen Krankenanstalten verbot. 

1941 erklärte die Rechtsabteilung der Stadtverwaltung:„Dementsprechend sind  Kinder, die der jüdischen Rasse angehören, ohne weiteres vom Genuss der Stiftung ausgeschlossen.

Nachdem Grundlage und Zweck der überkonfessionellen Oppenheimschen Stiftung schrittweise ausgehöhlt waren, war ihre „Arisierung“ durch städtische Behörden Anfang 1941 abgeschlossen. Die Zielsetzung der Stifterin war ad absurdum geführt.

Arisierung des Oppenheim’schenKinderhospitals, 1936

Zerstörung und letzte Spuren

Im Juni 1943 wurden bei einem schweren und langanhaltenden Bombenangriff auf die Kölner Südstadt das Kinderkrankenhaus und die Nebengebäude zerstört. 

Nur ein Gebäude blieb erhalten, das 1909 errichtete Isolierhaus – das heutige Musikhaus Süd.

Auf dem Stadtplan von 1960 sind immer noch das Haupthaus und das Wirtschaftsgebäude als „Kd. Hosp.“ verzeichnet. Dabei waren die Trümmer des Hospitals längst beseitigt worden. Die Fläche zwischen Buschgasse und Annostraße blieb zunächst unbebaut.

Ausschnitt aus dem Falk Stadtplan von 1960

Später verkaufte die Stadt einen Teil des Grundstücks. Es entstanden ein Kindergarten und ein Seniorenheim. Der größere Teil beherbergt bis heute einen Kinderspielplatz. 

Das einzige erhalten gebliebene Gebäude nutzte die Stadt  für das Grünflächenamt. Nach dessen Auszug in den 1970er Jahren, stand es lange Jahre leer. 

Dann diente es mehr als zwei Jahrzehnte  bis 2009 als Jugendzentrum der AWO. In katastrophalem Zustand und von Schwarzschimmel durchsetzt übernahm es 2017 eine Initiative zur Errichtung des Musikhaus Süd.

Auf das Oppenheimsche Kinderhospital – einst so wichtig für die medizinische Versorgung im Kölner Süden – findet sich kein Hinweis mehr.

Musikhaus Süd
Musikhaus vor dem Umbau

Eine Initiative unseres Vereins Musikhaus Süd e.V. machte sich 2021 auf die Spurensuche. Zahlreiche Dokumente und Fotos konnten wir seither in Archiven in Köln und im Umland aufspüren.

Im September 2022 ließ eine öffentliche Veranstaltung die Geschichte des Musikhauses und des Geländes zwischen Buschgasse und Annostraße wieder aufleben. Diese Informationen möchten wir nun umfassend zugänglich machen. 


Bildnachweis 

Stadtplan der Kölner Südstadt von 1898
Historisches Archiv Stadt Köln Historische Stadtkarten

Colorierte Skizze des Oppenheim`schen Kinderhospitals von 1883
Historisches Archiv Stadt Köln, Best. 7101 Nr. 2784

Bauzeichnung mit Grundriss
Deutschen Bauzeitung1884, Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Pulheim-Brauweiler

Ansicht der Stollwerck-Fabrik von 1898
Creative Commons Licence, Vwendeler / CC-BY-3.0

Beengte Wohnverhältnisse von Arbeiterinnen Ende des 19. Jhd.
Hans Böckler Stiftung, Quelle: mybudecom

Dritter Historischer Fries, mit Charlotte von Oppenheim in der Mitte,Köln im 19. Jahrhundert 1889/1890 
Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_mf099276

Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln, 1910, Straßenseite
Rheinisches Bildarchiv Köln, rba 062 602

Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln,1883, Rückseite
Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_mf128455

Freiherr von Oppenheim’sches Kinderhospital, Köln, um 1920,Frühgeborenenversorgung
Archiv des Mutterhauses der Cellitinnen, Zülpich

Inventar Kinderbetten, 1910
Historisches Archiv der Stadt Köln, Best 690 A470  000454141 0313

Freiherr von Oppenheim´sches Kinderhospital, Köln, um 1920, Krankenhausversorgung
Archiv des Mutterhauses der Cellitinnen, Zülpich

Freiherr von Oppenheim´sches Kinderhospital, Köln, um 1920, Mütter bringen ihre Kinder zur Untersuchungsstelle für Klein- und Schulkinder
Archiv des Mutterhauses der Cellitinnen, Zülpich

Arisierung des Oppenheim´schen Kinderhosptials 1936  
Historisches Archiv der Stadt Köln, Best 690 A470  000454141 0697

Ausschnitt aus dem Falk Stadtplan von 1960
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